Everybody's gone
to the Rapture
@spreiselbeerle
INFO
Mit Dear Esther reanimierten anno 2012 Robert Briscoe, Dan Pinchbeck und Jessica Curry unter dem Label The Chinese Room das Genre Walking Simulator.
Drei Jahre später schicken sie uns wiederholt auf eine Spazierfahrt, welche sich mehr ums Geschichten erzählen, als auf das Lösen von Rätseln konzentriert.
Erfahrungsgemäß reagieren Gamer auf storylastige Titel in Verbindung mit spärlich zu erledigenden Aufgaben besonders kritisch: Die Gewichtung von Präsentation, Spielmechanik und Narrativ entscheiden in dieser Gattung mehr als sonst über Jubeljauchzen oder Unverständnis. Der Grat der Befriedigung ist ein schmaler und die Definitionen variieren dahingehend, inwieweit im Produkt Computerspiel die Komponente Spiel ausgereift sein muss.
Umso spannender ist es daher, sich von dem Entwicklerstudio an die Hand nehmen zu lassen, welches das Medium mittels Entschleunigung und Verzicht auf appellative Überfrachtung angeht.
Worum geht's?
In Everybody's Gone to the Rapture landet man ohne Informationen über das Wer? und Warum? in einem ländlichen Gebiet Englands, in dem technische Hilfsmittel wie Internet oder Smartfon noch nicht angekommen sind.
Die Bewohner der beiden Dörfchen Yaughton und Little Tipworth sind allesamt verschwunden und man selbst folgt den Brotkrumen der Vergangenheit. Diese wird in Flashbacks erzählt, mithilfe von schemenhaften Figuren und den vertonten Gesprächen der Dorfbewohner. Ab und zu schwirrt eine leuchtende Kugel durch die Luft, deren Hintergrund hier nicht weiter verraten wird.
Die Technik – ja, wo laufen sie denn?
Ist die Fortbewegung zu Beginn noch gewöhnungsbedürftig (sprich: gefühlt etwas zu langsam), ändert sich dieser Eindruck je weiter man im Geschehen vorankommt und Versatzstücke der Handlung sammelt. Da ein Durchlauf in diesem Titel bei ca. 6 Stunden liegt, sollte man sich als Spieler diese Zeit ruhig nehmen.
Das einzige Manko stellen für mich die unüberwindbaren Zäune sowie undurchdringlichen Gebüsche dar. Letztere fungieren als Levelbegrenzung und sind somit nachvollziehbar. Die Bezäunung erzielt jedoch manchmal den Effekt, dass man eine Sackgasse wieder rückwärts verlassen muss. In einem solchen Moment wird einem die ungewohnte Laufgeschwindigkeit bewusst, was den Spieler mehr über Mechaniken als Storyinhalte nachdenken lässt.
Die Optik
Mit der CryEngine zaubern die Macher wirklich hübsche Bilder auf den Monitor. Selten habe ich in einem Spiel derart gerne Schnappschüsse (beispielsweise für den Desktop-Hintergrund) erstellt. Das Kreieren von Landschaften mit Anspruch auf Plausibilität liegt dem Studio eindeutig im Blut.
Zudem ist die Beleuchtung nahezug perfekt gelungen, selbst das Kolorit gegen Ende artet nicht übermäßig aus.
Zur Atmosphäre trägt fernerhin bei, dass keine Fotos der Bevölkerung in den Häusern hängen. Derlei Stilmittel unterstreichen die Atmosphäre des Spiels perfekt.
Der Sound
Jessica Curry bewies bereits in Dear Esther ihr Gespür bezüglich stimmungsvoller Soundtracks, bei denen das Thema nie zu sehr in den Vordergrund tritt und dennoch unverzichtbar für die Seele des Spiels ist. Die Orchesterarrangements passen in Everybody's Gone to the Rapture perfekt zur Erzählung und trösten über die Mängel der Steuerung hinweg.
Die Vertonung der Dialoge wurde ausgezeichnet umgesetzt, sodass dieses Spiel insgesamt hervorragend über das Gehör funktioniert.
Fazit:
Wie bei Flanier-Simulatoren üblich, soll der Spieler das Geheimnis der Geschichte nach und nach lüften. Dabei schafft Everybody's Gone to the Rapture den Kontrast zwischen Sci-Fi-Geschichte und den friedlich-dörflichen Schauplätzen.
Die Optik soll vornehmlich anfüttern, das Gehörte erzählt größtenteils die Geschichte. In diesem Punkt hätten die Entwickler meiner Meinung nach die Wegführung deutlich stärker über Akustikimpulse lösen können. Vermutlich aufgrund der Kooperatioon mit Sony ging man hingegen auf Nummer sicher und wählte eine visuelle Orientierungshilfe. Da diese inhaltlich begründet wird, geht dieser Punkt in Ordnung.
Obgleich The Chinese Room ihre Angst vor dem komplett freilaufenden Spieler mit (wie ich finde) unnötigen Mechaniken noch zu bekämpfen versucht, hat man im Vergleich zu Dear Esther deutlich mehr Freiheiten und Schauwerte zu erwarten.
Witzigerweise ist die innere Zerrissenheit der Macher bezüglich des Konzepts der fragmentierten Erzählweise versus dem Loslassen der Spielführung ein Momentum, welches sich bereits in Dear Esther abzeichnet. Insofern darf man fast davon ausgehen, dass der nächste Walking-Simulator dieser Schmiede erneut an der Lösbarkeit dessen entweder scheitert oder an deren Aufgabe wächst.
Von mir erhält Everybody's Gone to the Rapture trotz vereinzelter Kritik eine ausnahmslose Empfehlung für Freunde der digitalen Bummelei.